Wie sieht dein persönliches Archiv aus? Und wie fühlt es sich an, einer anderen Person Einblick in deine wichtigsten Erinnerungen zu gewähren? Archiv Tausch ist ein Spiel, das aus einer kritischen Auseinandersetzung mit Archiven und den darin reproduzierten Machtverteilungen entstanden ist. Uns interessieren zwischenmenschliche Verbindung und das Teilen von Erfahrungen. Archiv Tausch haben Tomte Rieder und Birte Stolte im Rahmen des Seminars Das Archiv: Ein Ort der Begegnung? im Sommersemester 2025 an der Kunstakademie Münster entwickelt. Wir haben darüber nachgedacht, wie die eigenen Sammlungen, Archive und Lebensgeschichten in einen Austausch kommen können. Mit dem Spiel möchten wir verschiedenen Altersgruppen und Kontexte einladen, selbst über einen alternativen Umgang mit Archiven und (den eigenen) Sammlungen nachzudenken.
Wir sind kein*e Historiker*innen und haben noch nie ein institutionelles Archiv verwaltet. Dennoch kümmern und pflegen wir seit vielen Jahren unsere eigenen Sammlungen, von unfassbarem Wert: unsere persönlichen Archive. Persönliche Archive können viele verschiedene und ganz individuelle Formen annehmen. Sie bestehen zum Beispiel aus Notiz- und Tagebüchern, Videos im Netz und auf Festplatten, aus analogen und digitalen Fotografien, Zeichnungen, Gemälden, Mappen mit Prosa, Poesie und Reden oder aus Erinnerungskisten voller gesammelten Objekten oder Krimskrams. Archive können aber auch im Dreck, am Boden eines Rucksacks, in Kassenzetteln oder den Überbleibseln eines Tages, tief vergraben in den eigenen Hosentaschen ausfindig gemacht werden. Archive bestehen zudem aus den Gesprächen mit Menschen und gemeinsam erschaffenen Erinnerungen. Und vor allem bildet sich ein persönliches Archiv aus dem eigenen Körper heraus, der uns jeden Tag mehr davon erzählt, was wir erlebt haben – in jeder Bewegung und jedem Innehalten. So schreiben alle Menschen jeden Tag deren eigene Historie, halten sie bewusst oder unbewusst fest und führen sie jederzeit mit sich.
Ein Archiv hat viel Macht. Es erzählt von dir und kann als Erklärung oder Begründung genommen werden. Dabei kann auch das umfangreichste Archiv nie vollständig abdecken oder aufzeigen, wer und wie du bist. Auch dein Archiv ist nur ein Puzzleteil in einem gigantischen Netz aus Muster und Machtverteilung. Wenn du also ein Archiv betrachtest, mit dem Ziel etwas über Vergangenheit(en) zu verstehen, musst du auch über dessen Unvollständigkeit nachdenken. – Wer ist Teil deines Archivs? Welche Perspektiven kommen hier vor? Welche nicht? Was hältst du sogar vor dir selbst geheim? Den Formen von persönlichen Archiven sind also – ganz entgegengesetzt der institutionellen Norm – keine Grenzen gesetzt. Dein Archiv muss (oder soll sogar) keinen Anspruch auf Wahrheit oder Objektivität haben, sondern hat die Funktion, dir ein Zuhause zu sein. Archive bestimmen grundlegend, wie du die Geschichte(n) wahrnimmst und aus welchen Perspektiven heraus sie erzählt und dominiert wird/werden. Die Macht persönlicher Archive liegt in ihrer Reflexion und der daraus erwachsenen Selbstbestimmung. Denn Lebensgeschichten schreiben sich in den unterschiedlichsten und authentischsten Arten und Weisen selbst und bedürfen keiner kapitalistischen, patriarchalen oder institutionellen Legitimation. Wird jedoch nur von einer möglichen Art und Weise ausgegangen, Geschichte(n) und Erinnerungen zu schreiben, zu sammeln oder zu archivieren, entsteht der Eindruck einer Neutralität, die es nicht gibt.
Mit dem Archiv Tausch laden wir dazu ein, einen Perspektivwechsel auf Geschichte(n) zu eröffnen: Einblicke in ungeschliffene Erinnerungen zu gewähren, sich im Austausch dem jeweils anderen (oder sogar dem eigenen) Leben neu anzunähern und Verständnishorizonte zu erweitern, Vergangenes, Gegenwart und Zukunft als Ganzes zu begreifen und gemeinsam zu hinterfragen und zu erträumen.
Zum Kartenset: ARCHIV TAUSCH
