Dreieck

Den Hammer einfach Hammer sein lassen? Ein Gespräch zwischen Wiebke Janzen, Annika Niemann und Silke Ballath

Der Text ist im Kontext eines Gesprächs entstanden, das Annika Niemann und Silke Ballath mit Wiebke Janzen geführt haben. Gemeinsam haben wir die gemeinsame Erfahrung während des Labortages in der Spore Inintiative e.V. reflektiert, zu dem Studierende der HBK Braunschweig  verschiedene Menschen – Lehrpersonen, Künstler*innen, Akteur*innen der Kulturellen Bildung, Kunstvermittler*innen u.a. eingeladen hatten. An einem Donnerstag im Februar fand der Labortag statt. Acht Studierende der Kunstpädagogik aus dem Seminar Zusammenleben unterschiedlicher Lebensweisen im Kontext Schule hatten diesen Tag über ein Semester an der HBK Braunschweig konzipiert. Als Lehrperson und Konrektorin der Nürtingen-Grundschule war Wiebke Janzen eine der Gäst*innen dieses Tages.

AN/SB: Wir wollen gemeinsam auf den Spore Tag zurückschauen. Was hast du denn von dem Tag mitgenommen? Oder hat dich im Nachhinein noch etwas beschäftigt? Was kommt dir in den Sinn, wenn du an diesen Tag zurückdenkst?

WJ: Ja, also wenn ich jetzt an das Gefühl denke an diesem Tag, dann war das so, als würde man in einen freien Raum eintreten, der eigentlich zeitlos ist. Man konnte ankommen, ohne zu sprechen. Darauf war man nicht vorbereitet und das habe ich als sehr angenehm empfunden. So habe ich das auch noch nie erlebt, dass man sich irgendwo mit Menschen trifft, die man alle nicht kennt und gar nicht über Worte in Kontakt kommt, sondern über Blicke oder über Positionen, die man im Raum einnimmt. Ich hatte mich sehr auf diesen Ort gefreut. Ich glaube, er spielte auch eine große Rolle für diesen Tag. Ich habe schon mal ein Achtsamkeitswochenende miterlebt und an dieses Gefühl der Ruhe und Entschleunigung habe ich mich sehr erinnert gefühlt. Diese sensible Sensitivität, auf der der Fokus liegt. Dieser Fokus ist wichtig und entscheidend, und dass man selber steuern kann, wie man agiert, ob man sich beteiligen möchte oder nicht. Das habe ich auch in der Spore als sehr angenehm empfunden.Abb. 1 Raumansicht, Labortag Spore Initiative e.V., 2024

Zudem war es schön, die Energie der jungen Menschen zu spüren, die an Pädagogik interessiert sind und mitzuerleben, wie sie sich dem nähern und darüber nachdenken. Was für Herausforderungen stellen sich im Alltag: in der Schule, im Miteinander und in Stresssituationen oder entlang unerwarteter Momente? Wie kann man das auffangen und thematisieren? Das fand ich sehr schön.
Und auch das unterschiedliche Herangehen hat mir sehr, sehr gut gefallen. Und was ganz wichtig finde, was ich gespürt habe, war dieser Zusammenhalt in dieser Seminargruppe. Man hatte das Gefühl, dass sie zusammen einen Rahmen gehalten haben, etwas Verbindendes geschaffen haben – fast wie so eine kleine Familie eigentlich. Ich habe gespürt, dass sie sich gegenseitig sehr wertschätzen und eben auch ihre Stärken ganz klar kennen und ihre Ressourcen. Wer bringt was ein? Das fand ich sehr schön.
Ich hatte zum Beispiel nicht das Gefühl, dass irgendjemand sich nach vorne spielt. Darüber war ich überraschend und spannend, weil durch die verschiedenen Gäst*innen so viele Perspektiven eingebracht wurden. Es kam gar nicht drauf an, aus welchem Arbeitszusammenhang jemand dabei war. Es war der Fokus lag darauf, wie man sich begegnet ist und wie diese Begegnung in einem gewirkt hat. Das war besonders.
Der gesamte Prozess war so spannend zu beobachten, weil die Gäst*innen so unterschiedlich mit den Aufgaben und Angeboten umgegangen sind. Beispielsweise, haben am Anfang viele für sich gemalt, als wir nach dem Silent Walk und zurück in den Räumlichkeiten der Spore zeichnerisch unsere Erfahrung aufzeichnen konnten. Am Ende waren alle mutiger und haben miteinander gezeichnet. Das war ganz spannend, das so visualisiert wurde, wie eigentlich die Persönlichkeit tickt und wie man in so einem Kontext, wo man sich noch nicht ganz vertraut ist, annähert. Das war total spannend. Dieses Verbinden zwischen dem Inhalt und der Methode und wie die Studierenden das dann umgesetzt haben, das das war unglaublich toll und inspirierend.

AN/SB: Hattest du auch Situationen, in denen du Irritationen verspürt hast?

WJ: Ja, das war ganz witzig, als sie diese Texte vorgelesen haben, habe ich erst gedacht: Aha, ich wusste gar nicht, dass es schon so Erlasse gibt. Ich dachte tatsächlich, das wäre eine Art Vorlage, die da vorgelesen wird. Und als dann rauskam, die Studierenden haben den Text selber geschrieben, dachte ich: Wie cool, das wäre echt so wichtig, weil das ja genau das präventive Denken spiegelt, und ich glaube, das braucht der Beruf. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt und ich merkeoft, wie die jüngeren Kolleg*innen besser ihre Grenze benennen. Und trotzdem braucht das System Menschen, die auch mehr reingeben, als im Vertrag steht, sonst würde es nicht funktionieren. Ich glaube, dieser Ansatz ist wichtig, zu gucken, was braucht das System, damit wir gut miteinander umgehen können und damit wir auch gut mit uns selber umgehen. Nur auf sich selbst zu gucken, funktioniert auf jeden Fall nicht. Es braucht auch den Blick auf meine Umgebung. Mich würde es sehr freuen, wenn das wirklich auch institutionell einfließen würde und im Studium Teil des Selbstverständnisses von Pädagog*innen werden könnte.

AN/SB: Ich finde das super schön, wie du es gerade beschreibst, weil sich daraus Anschlüsse eröffnen. Wie könnte das weiter gedacht werden? Wie könnte es in die Praxis übersetzt werden?

WJ: Irritiert war ich höchstens von der einen oder anderen Persönlichkeit im Raum. Menschen in künstlerischem Kontext können die Gemeinschaft bewusst und/ oder unbewusst heraus fordern. Und trotzdem hat der Tag in der Spore für mich sehr gut funktioniert. Vielleicht ist es aktuell um so wichtiger in diese Grenzbereiche zu gehen und zu erspüren, wo fühlt es sich gut an und wo fühlt es sich nicht mehr gut an. Es gibt immer Kinder oder Personen, die über eine Grenze rübergehen, bei anderen. Wie geht man damit um? Das ist wichtig zu lernen. Wie kann ich das tragen? Oder wie kann ich es spiegeln? Will ich da eine Rückmeldung geben? Wo begebe ich mich mit meinem Wahrnehmen hin? Also wie gehe ich damit um? Das finde ich ganz, ganz wichtig. Richtig schlecht hat es sich angefühlt – aber da war ich wahrscheinlich nicht die einzige – als der eine Studierende in diese weiße-Mann-Ecke gedrängt wurde. Ich fand es toll, wie er reagiert hat und auch, wie die Gruppe reagiert hat. Als zum Beispiel eine Mitstudierende gesagt hat: Ja, wir haben das besprochen und wir hatten das auf dem Schirm. Aber ich fand halt diese Art von der Gäst*in sehr konfrontativ und unangenehm. Das war für mich eine Grenzüberschreitung, bei der ich mich gefragt habe: Wie fängt die Gemeinschaft das auf? Die gesamte Gruppe ist erstarrt. Wie wird als mit so einem Unwohlsein umgegangen?
Interessant, diese Momente, wo Grenzen angezeigt werden durch einen Widerstand, der im Raum existiert oder einfach durch so kleine Verschiebungen in der Situation.

Abb. 2 Station 13, Labortag Spore Initiative e.V., 2024

In der zweiten Sequenz des Tages, nach dem Silent Walk, waren die meisten Aktionen ja eher Stationen, an denen man für sich etwas machen konnte. Aber es gab den einen Moment, wo wir uns über unsere Träume ausgetauscht haben. Es hat etwas Zeit gebraucht von dem vorherigen Selbstpositionieren in einen gemeinsamen Austausch zu kommen. Für mich hat sich dieser Moment so angefühlt, als wenn mit dieser Gruppensituation das Eis gebrochen wurde. Wir sind in einen Flow gekommen und genau da war dann die Zeit zu knapp. Und das ist eben auch wieder so typisch: wenn man so eine Gruppenarbeit initiiert, weiß man nie wo dieser Moment ist? Wie lang braucht eine Gruppe, bis sie soweit ist? Am Ende bei der Reflexionsrunde fand ich es cool, dass die Studierenden den Prozess mit reflektiert haben.  Normalerweise ist es ja so, dass nur die Teilnehmenden eine Rückmeldung geben. Und für gewöhnlich finde ich diese Runden echt anstrengend, wenn so viele Menschen etwas sagen und allen zugehört werden muss. Das war aber dieses Mal gar nicht so, obwohl diese Runde fast eine Stunde lang gedauert hat.

AN/SB: Das war gar nicht so geplant. Hast du eine Idee, woran das lag, dass sich die Konzentration in dieser Runde so lange gehalten hat? Ich kenne das auch, dass sie bei so Runden irgendwann einfach wegrutscht.

WJ: Ja. Ich glaube, für mich war es spannend zu erfahren, wie haben sich die anderen gefühlt. Und ich wollte auch unbedingt wissen, wie sich diejenigen gefühlt haben, die den Prozess geplant haben. Ich habe dadurch ein paar Einblicke in ihre Gedanken erhalten. Mich hat wirklich interessiert, ob der Tag für sie aufgegangen ist. Und ich kannte nicht alle Gäst*innen und durch die Abschlussrunde konnte ich nochmal ein bisschen ihre Perspektiven kennenlernen. Das war für mich das Spannende.

AN/SB: Ich glaube, mir ging es genauso. Ich konnte gut zuhören und ich kann das eigentlich nicht. Bei mir schaltet sich diese Kapazität irgendwann ab. Ich könnte mir vorstellen, dass es daran lag, dass sie einen Raum geschaffen haben, in dem wenig geredet wurde. Wir haben uns über mehrere Stunden mit vielen Menschen in einem Raum befunden, ohne viel Sprache und trotzdem sind wir in ein gemeinsames Handeln gekommen und haben eine gemeinsame Erfahrung gemacht. Ich glaube, das hat meine Aufmerksamkeit geschärft. Neben den Punkten, die du gerade aufzählst. Dass Du den Punkt des Mitreflektierens als besonders hervorhebst, finde ich interessant und spannend. Annika und ich reflektieren in unseren Reflexionsrunden auch immer mit. Offensichtlich haben sie das übernommen.

WJ: Durch die Stille haben sie es geschafft, am Ende die Aufmerksamkeit zu halten. Das ist echt beeindruckend.

AN/SB: Ich finde es auch deswegen interessant, weil ich ja weiß, wie du unterrichtest. Du baust Freiräume und du ermöglichst, dass da drin unterschiedliche Dinge passieren können, an unterschiedlichen Stellen, auch in der Rhythmisierung. Das hat vielleicht eine Korrespondenz mit dem Setting, das die Studierenden an dem Tag eröffnet haben.

WJ: Ja, ich glaube für mich war es auch gut zu wissen, dass ich jeder Zeit hätte aus dem Setting aussteigen können. Wir haben am Anfang ja einen Zettel erhalten auf dem stand: Wenn dir das zu viel wird, dann kannst Du zurück zur Spore gehen und einen Kaffee, Tee, Wasser trinken und auf uns warten. Dass also eine Art Exitmöglichkeit kommuniziert worden war, das hat bei mir ein gutes Grundgefühl für die gemeinsame Zeit auf gemacht. Der Anfang ist ja immer wichtig. Und zu wissen, dass ich mich dafür oder dagegen entscheiden kann, wie ich daran teilnehme, das fand ich gut. Wenn man mit Menschen oder Kindern arbeitet, ist es aus meiner Perspektive sowieso wichtig, dass man immer wieder versucht klar zu machen, wie der Rahmen aussieht, bzw. wo die Person den Prozess selbst steuern kann. Diese Stempel, die man sich nach jeder Station abholen konnte, waren schon lustig. Fast wie in der Schule, wenn du einen Stempel als Belohnung erhältst. Es war schon klar, dass es nicht jetzt überprüft wird. Für mich war das ein Zitat aus der Schule, ich habe das als ironischen Kommentar gelesen.

AN/SB: Das war halt die Frage, war es eine ironische Setzung oder ernst gemeint?

WJ: Es ist auf jeden Fall immer die Frage, wie gehe ich mit so einer Vorgabe um?

AN/SB: Das ist total spannend, dieser letzten Punkt: Wie gehe ich mit einer Vorgabe um und wo stehe ich im Leben? Also mit welcher Haltung gehe ich an eine Situation oder eben eine Vorgabe heran? Aus welcher Position mache ich das? Und wie frei bewege ich mich dann? Oder widersetze ich mich der Regel? Wie gehe ich mit so einem Experiment um, das mir angeboten wird? Aber natürlich müsste ich immer, wenn ich in Widerstand gehe, meine eigene Position dazu ins Verhältnis setzen, um zu spüren, was es gerade mit mir zu tun hat, dass ich aus der Situation rausgehen will. Das sind auf jeden Fall total spannenden Aspekte, sich anzuschauen, wie unterschiedlich Menschen mit Regeln umgehen und wie stark wir davon geprägt sind, sie einzuhalten. Wann ist es uns möglich, sie zu überschreiten? Und wann wollen/können wir in Kauf nehmen, beim Überschreiten zum Beispiel angeschaut oder wahrgenommen zu werden?

Abb. 3 Station 6, Labortag Spore Initiative e.V., 2024

WJ: Wenn jemand raus bricht oder auffällig wird, dann hat es ja immer Gründe. In der Schule ist das für mich ein Indikator genau hinzuschauen, ob die Person vielleicht Unterstützung von der Gruppe benötigt. Wenn etwas so auffällig und so krass ins Auge fällt, dann steckt meistens etwas dahinter. Es ist aber immer eine Herausforderung. Wie viel Aufmerksamkeit schenke ich der Situationen? Was muss ich jetzt tun? Ist es gerade besser, die Situation oder Auffälligkeit zu ignorieren? Oder ist ein Gespräch sinnvoll?

AN/SB: Die Frage ist ja meistens auch, wo ist die Verantwortung der Gruppe. Beim Labortag hatte ich ein solches Moment mit dem Hammer. Also als jemand versucht hat diese Nägel in die Kiste zu hämmern und es nicht wirklich geklappt hat und zweitens sehr, sehr laut war, eigentlich unerträglich laut. Wer trägt da die Verantwortung? Diese Dynamik finde ich ganz interessant anzuschauen, wenn es um das Zusammenleben von Lebensformen geht.

Abb. 4 Station 12, Labortag Spore Initiative e.V., 2024

WJ: Wo gibt man die Verantwortung ab? Wo nimmt man sie sich? Und wo hält man vielleicht auch inne und wartet ab? Wem nimmt man etwas weg, wenn man in die Interaktion geht? Das ist auch ein typisches Moment, das in der Klasse oder in Schulen bzw. in allen pädagogischen Gruppen vorkommt.

AN: Es gibt diese Metapher beim Capoeira, aber auch beim Segeln, dass man die Segel fliegen lässt, wenn der Sturm zu stark rein weht. Dann gehe ich halt raus und gehe in ein anderes Fahrwasser rein. Ich finde, das ist eigentlich eine ganz gute Möglichkeit, um erstmal etwas Zeit zu gewinnen und die Situation zu beobachten.

SB: Stimmt, obwohl es manchmal einfach nicht möglich ist. Du hast mir später erzählt, dass dich das richtig wütend gemacht hat, weil du gerade hämmern wolltest, und dir der Hammer abgenommen wurde.

AN: Ich habe überlegt, ob ich jetzt in eine Konfrontation gehe oder ob ich den Hammer einfach Hammer sein lasse, weil es ja auch noch elf andere Stationen gab, zu denen ich hingehen konnte.

WJ: Ich fand das interessant, weil Du ja auch in der dozierenden und begleitenden Rolle warst. Du hattest damit auf jeden Fall eine Verantwortung dem ganzen Setting gegenüber, auch den Studierenden gegenüber. Das halt spannend, dass die Person genau dir, den Hammer abgenommen hat. Sie hätte ja auch zu wem anders kommen können.

AN: Ja, das finde ich auch interessant.

WJ: Der Hammer war in dem Setting auf jeden Fall das Moment der Macht.
Ich finde es ja äußerst spannend und passend, dass aus dieser Gruppe genau die Person, die permanent versucht hat, laut zu sein, während des Silent Walks, den Hammer aus der Station wegnimmt, weil er ihr zu laut ist. Und dann nimmt sie der Person die Macht weg, die an dieser Station gerade den Hammer einsetzt und die im übertragenen Sinne, gerade die Macht in der Hand hat. Zusätzlich war diese Person auch noch eine der Personen, die den Rahmen des Labortags gehalten hat, weil sie ihn mit den Studierenden zusammen entwickelt hat. Das ist so eine Sache mit der Selbst- und Fremdwahrnehmung.

Zitationsvorschlag

Janzen, Wiebke (2025): Den Hammer einfach Hammer sein lassen? Ein Gespräch zwischen Wiebke Janzen, Annika Niemann und Silke Ballath, in: Silke Ballath, Konstanze Schütze (Hg.), Onlineplattform | situierung zwischen 2023 [online] https://situierungzwischen.net/dreieck/den-hammer-einfach-hammer-sein-lassen-ein-gespraech-zwischen-wiebke-janzen-annika-niemann-und-silke-ballath/ [letzter Zugriff: YY.YY.YYYY].