Der Text „Zukunft gestalten. Ein künstlerischer Prozess in der Schulentwicklung“ untersucht Begriffe wie Beziehungsarbeit, Sichtbarkeit und Kompliz*innenschaft. Celina Rahman skizziert darin Forschen und Entdecken als ein produktives Spannungsfeld in der künstlerisch vermittelnden Arbeit. Die Kulturagentin Julia Münz übersetzt die Untersuchungen in zwei Illustrationen.
Die Erfahrungen in schulischen und ausserschulischen Projekten haben mich in der Ansicht bestärkt, dass Haltung und Persönlichkeit von Pädagog*innen und Künstler*innen, beziehungsweise den Projektdurchführenden, von grosser Bedeutung sind. Denn es ist nicht unbedingt der Gegenstand, den wir anbieten – wie beispielsweise ein unglaublich komplexer Lehrinhalt – der uns zum Erfolg führt, sondern vielmehr die Art und Weise, wie wir das Angebot gestalten. Ein wesentlicher Ansatz in der Vermittlungsgestaltung ist der Impuls, um neue Inhalte durch Erleben oder Erfahrung wirksam zu lernen. Dies setzt eine Haltung des gegenseitigen und individuellen Lernens voraus, aber auch das Vertrauen in Schüler*innen, dass sie Expert*innen ihrer eigenen Sache sein können. Der Artikel eröffnet in diesem Kontext Ansätze zur Gestaltungsdimension von künstlerischer Arbeit an der Schnittstelle von Kultureller Bildung und Schule.
Künstlerische und kreative Ansätze in Schulen bieten Kindern und Jugendlichen einen hohen Mehrwert, stossen aber innerhalb der Regelschule immer wieder an Grenzen. Wie können künstlerische Ansätze auch über Modellprojekte hinaus in der Schullandschaft umgesetzt werden? Wie ermutigt künstlerisches Arbeiten Schüler*innen durch bewusste Kooperationen mit Künstler*innen und Akteuren der Kulturellen Bildung zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe? Wie stärkt Kreativität konzeptuelles Denken und Ausdrucksvermögen? Als Leitung für Schulgestaltung in der Schöpflin Schule begegne ich seit Gründung der Grundschule 2021 gemeinsam mit einem multiprofessionellen Team den Fragen und strukturellen Herausforderungen mit Kollektiven auf Zeit. Ziel ist es, künstlerische Ansätze stärker in den schulischen Alltag für Kinder, Jugendliche, Lernbegleiter*innen und Künstler*innen einzubinden, aber auch, Zwischenräume im Stadtraum aufzuzeigen und Schnittstellen des Zusammenwirkens sichtbar zu machen.
Im Bildungs- und Kulturbereich begegnet mir zunehmend die zentrale Frage, über welche Persönlichkeitsmerkmale eine Person verfügen sollte, um künstlerische Prozesse durch Praxiserleben bei Kindern und Jugendlichen anzuregen und zu begleiten. In unserer pädagogischen Arbeit an der Schöpflin Schule zeigte sich bisher, dass nicht die Frage nach den festen Persönlichkeitsmerkmalen, die eine Person mitbringt, für die qualitätsvolle Zusammenarbeit mit Schüler*innen am bedeutsamsten ist, sondern die Frage nach ihrer Haltung (z.B. prozessoffen, ergebnisorientiert, anleitend, begleitend u.a.). „Haltung ist erlern- und erfahrbar, sie kann sich verändern, sich im Lebensverlauf weiterentwickeln und man kann sie sich aneignen. Haltung beinhaltet Werte, Motivation, Verhaltens- und Umgangsweisen sowie Ziele“ (Heisig/Scharf/Schönfeld 2020: 57).
Im Rahmen des Schulentwicklungslabors beschäftigt uns die Frage, was Haltung ausmacht. Unabhängig davon, ob es um Tanz, Theater, Literatur, Musik, Performance oder Bildende Kunst in Schulen geht, zeigte sich bisher ausgehend von der Praxis: Es gibt mehrere Merkmale, die bezüglich der Haltung anleitender Personen von künstlerischen Prozessen an Schulen essenziell erscheinen. Diese Merkmale, die sich in der Praxis abbilden, werden im Folgenden aufgeführt und können nicht nur als Anspruchshaltung der Kunst- und Kulturschaffenden und Lernbegleiter*innen an sich selbst verstanden werden, sondern auch der Auseinandersetzung mit dem eigenen Rollenverständnis in der Zusammenarbeit dienen. So verstehen wir uns auch in der Rolle der Kunst- und Kulturschaffenden als Impulsgeber*innen mit einer gelebten Grundhaltung, die ebenso für alle weiteren Beteiligten im künstlerischen Prozess von Bedeutung ist (vgl. Heisig/Scharf/Schönfeld 2020: 59). Diese Grundhaltung ist geprägt durch Zuhören, Fragen, Dialog, Diskussion, Reflexion und beständiges Lernen.[1]
Mr. Impulsibus Illustration: 2022 ©Julia Münz
Der partnerschaftliche Kontakt zwischen Schule und Künstler*in bringt die unterschiedlichen Alltagswelten in ein intensives Austauschverhältnis. Eine gelungene Kompliz*innenschaft[2] zeichnet sich dadurch aus, dass die Beteiligten einen gemeinsamen Entwicklungsprozess eingehen. Alte Muster, Strukturen und Einstellungen werden aufgebrochen und verändern sich. Die Bereitschaft, die eigene Rolle zu hinterfragen, ist wesentlich, um den Prozess erfolgreich zu gestalten. Da, wo Kunst und Pädagogik aufeinandertreffen, entsteht etwas Drittes, ein neuer Raum, in dem zunächst verhandelt werden muss, wer welche Rolle einnimmt – wer übernimmt die Verantwortung, wer die Steuerung? (vgl. Bhabha 2000: 63) Den Kindern und Jugendlichen in einem künstlerischen Prozess Begeisterung, Freude, künstlerische Strategien der Weltaneignung und natürlich auch das Handwerkszeug für künstlerisches Arbeiten zu vermitteln, sind wesentliche Zugänge für die zunehmend komplexer werdende Zukunft. Wichtig dabei ist, als Kunstschaffende*r und Lehrperson Leidenschaft zu besitzen und Authentizität auszustrahlen – sowohl für das künstlerische Tun als auch für die Vermittlung der künstlerischen Herangehensweisen an die Schüler*innen.
Im Umgang mit Schüler*innen geht es auch darum, konstruktives und wertschätzendes Feedback zu geben, Auseinandersetzung als Chance zur eigenen Weiterentwicklung zu sehen und den Schüler*innen dies genau so zu vermitteln. Künstlerisches Arbeiten bedeutet, einen offenen Prozess anzuleiten, ohne den Weg zu sehr vorzugeben und somit eventuell die Lösungsmöglichkeiten zu beschränken. In der Kunst ist es wichtig, sich auf ein Thema einzulassen, aber auch, sich diesem mit offenem Ausgang zu nähern (vgl. Gunsilius/Kowalski 2021: 23ff.). Kunst- und Kulturschaffende nutzen das Vorgefundene häufig als Material, sie experimentieren damit, lassen sich auf die Themen und Menschen ein und richten ihr Interesse vor allem auch auf die Prozesse. Häufig kommen von Schüler*innen oder anderen Akteur*innen Impulse für die gemeinsame Arbeit, die im Prozess aufgegriffen und weiterentwickelt werden. Jeder Inhalt und jedes Thema können somit künstlerisch bearbeitet werden. Es kommt dabei weniger auf den Ausgangspunkt an als vielmehr darauf, wie im kollektiven Miteinander auf Zeit der gemeinsame Prozess gestaltet ist (vgl. Gunsilius/Kowalski 2021: 284ff.). Die Bedeutung der Beziehung zwischen Schüler*innen, Kunst- und Kulturschaffenden und Lehrer*innen beruht auf den Voraussetzungen des vertrauensvollen Miteinanders und des gemeinsamen Begriffs der kollaborativen Zusammenarbeit (vgl. Institute for Art Education 2012: 89–90).
Kollaboration Illustration: 2022 ©Julia Münz
Eine wohlwollende Grundhaltung gegenüber und Vertrauen in die Schüler*innen und ihre Kompetenz ist von entscheidender Bedeutung für eine gelingende gemeinsame Arbeit. Hierbei ist es wichtig, die Schüler*innen individuell und in der Gruppe wahrzunehmen, sie zu verstehen und in ihren Belangen ernst zu nehmen sowie Schwierigkeiten oder Ängste zu erkennen und zu besprechen. Besonders relevant ist dabei, mit einem stärkenorientierten Blick auf die Schüler*innen zuzugehen und ihre entstehenden Ideen anzuerkennen.
Auf Augenhöhe zu sein, heisst auch, mit dem zu arbeiten, was von den Schüler*innen an Interessen, Fähigkeiten, Wünschen und Bedürfnissen eingebracht wird. Wichtig ist hierbei, die Schüler*innen und das, was sie mitbringen, in der künstlerischen Arbeit ernst zu nehmen, darauf aufzubauen und Aushandlungsprozesse gemeinsam zu gestalten. Dabei geht es nicht nur um den gegenseitigen Respekt, sondern auch darum, voneinander zu lernen. Gegenseitige Lernbereitschaft bedeutet, offen zu sein für eigene Lernprozesse und auch für Anregungen von Schüler*innen, diese aufzunehmen und damit weiterzuarbeiten.[3] Diese intensive Zusammenarbeit kann nicht nur für die Persönlichkeitsentwicklung, sondern speziell auch bei den Kunst- und Kulturschaffenden für das eigene künstlerische Tun bereichernd sein, indem neue Anregungen gewonnen werden.
Ein kreativer Raum ist ein unsichtbarer Raum, in dem etwas sichtbar wird, in dem wir verschiedene Perspektiven einnehmen können. Das Gelingen künstlerischer Praxis sollte nicht am fehlenden Raum scheitern. So können der grosszügige Hohlraum unter der Schultreppe oder der breite Flur zwischen den Lernräumen als stetig veränderbare Räume erkannt und genutzt werden. Lernräume können jederzeit neu entdeckt und erobert werden. Die Schöpflin Schule funktioniert auch als Werkstatt, als Treffpunkt, als Ort der Auseinandersetzung mit Kunst, der eigenen Wahrnehmung und Ästhetik, genauso wie mit Material und dem eigenen Körper. Sie ist ein Ort der Inspiration, eine Möglichkeit des Rückzugs und ein Raum mit besonderem Charakter. Künstler*innen sind nicht mehr nur Gast an der Schule, sondern können sich durch diesen eigenen Raum auch als Gastgeber*in begreifen und werden so zu einem Teil der Schulkultur (vgl. Heisig/Scharf/Schönfeld 2020: 169). An dieser Stelle kann die Schöpflin Schule als Modellschule auch weitere Bildungseinrichtungen stärken. Der Einbezug der ausserschulischen Expert*innen wie auch das Aufsuchen ausserschulischer Lernorte, die zur Wissensgenerierung und -vertiefung beitragen können, ist fest im Konzept integriert. Komplexe Lerngegenstände werden nicht segmentiert, sondern bewusst aus der realen Vielperspektivität betrachtet und erschlossen.
Die Schöpflin Schule ist als staatlich genehmigte Grundschule in Trägerschaft der Schöpflin Stiftung im Schuljahr 2021/22 mit der ersten Lerngruppe gestartet. Das war ein Start ähnlich einer Rakete, denn eine Schulgründung geht nur mit enormer Schubkraft, einer großen Portion Mut und Vertrauen sowie Rahmenbedingungen, die es erlauben gestalterisch wirken zu können. Ein wesentlicher Teil des Kraftträgers ist die Schöpflin Stiftung und so wächst die Schule neben stiftungseigenen Einrichtungen zu einer jahrgangsübergreifenden und projektorientierten Grundschule mit künstlerisch-kulturellem Profil heran. Der rhythmisierte, gebundene Ganztag an drei Tagen trägt die Idee in besonderer Weise, weil abwechslungsreiche Räume für das Lernen geschaffen werden können. Basierend auf gemeinsamen pädagogischen Erfahrungen an unterschiedlichen Schulen teilt die Schöpflin Schule die Haltung, dass Kinder bewusst und selbstwirksam Schulkultur gestalten. Regelmässige Wechsel von Einzel- und Teamarbeit, methodischen Settings, körperlichen und geistigen Aktivitäten sowie Arbeits- und Entspannungsphasen bilden eine starke Mischung für Kopf, Hand und Herz. Die Schöpflin Stiftung engagiert sich durch die Übernahme der Trägerschaft langfristig. Weiterführende Informationen: www.schoepflin-schule.de.
Erschienen im Rahmen der SfKP #22 // www.swissarteducation.ch, www.sfkp.ch, herausgegeben von Silke Ballath und Konstanze Schütze, Druckversion situierung zwischen #1 erschienen, 04/2023.
Bhabha, Homi K. (2000): Die Verortung der Kultur. Tübingen, Stauffenburg.
Gunsilius, Maike/Kowalski, Hannah (2021): Handeln. Entscheiden. Performen. Künstlerische Forschung mit Kindern. Bielefeld, wbv.
Heisig, J./Scharf, I./Schönfeld, H. (2020): Kunstlabore: Für mehr Kunst in Schule! Ein Ratgeber zur Qualität künstlerischer Arbeit in Schule.
Institute for Art Education der Zürcher Hochschule der Künste (Hg.) (2012): Zeit für Vermittlung. Eine online Publikation zur Kulturvermittlung. Zürich, IAE ZHdK / Pro Helvetica. https://www.kultur-vermittlung.ch/zeit-fuer-vermittlung/download/pdf-d/ZfV_0_gesamte_Publikation.pdf [06.10.2018].