Dreieck

Zwischen Lehrperson und alles Andere sein

Wir sind fünf Personen, die an der HBK Braunschweig studieren und studiert haben. Im Seminar „Situierung zwischen den Stühlen“ sind wir uns begegnet und möchten alle Lehrpersonen werden – früher oder später, ganz sicher oder im Gedankenspiel. Gleichzeitig sind wir (Performance-)Künstlerinnen, Tänzerinnen, Kunstvermittlerinnen, Theaterpädagoginnen und (künstlerisch) Forschende. Uns interessieren genau diese Räume zwischen Lehrperson und alles Andere sein: Welche Bedingungen sind daran geknüpft und wie können wir diese produktiv verändern? Wo positionieren wir uns individuell dazwischen? Wie können wir Grenzen verschwimmen lassen? Und welche Rollen spielen unsere Körper dabei? Basierend auf einer Lecture Performance aus dem Seminar ist, entlang gemeinsam festgelegter Spielregeln, eine Partitur und eine Resonanzcollage entstanden. Darin reflektieren wir, verhandeln Vielstimmigkeit und forschen künstlerisch, um unsere Auseinandersetzung mit diesen Zwischenräumen sicht- und hörbar zu machen.


Partitur_Stand
Juni

Eine Partitur ist die Auf_Zeichnung[i] eines Denk- und Handlungsraums. Sie versucht, alle Stimmen eines Kollektivs einzufangen und sichtbar zu machen. Die notierte Vielstimmigkeit übersetzt sich interpretativ in Stimmfarben und Rhythmen, körperliche Bewegungen und Spuren, Gefühlsregungen, Zwischentöne, Leerstellen und Gedankensprünge.

 

Die folgenden Begriffe sind eine Form der Reflexion. Sie bildet unseren Aus_Handlungsprozess darüber ab, wie wir die Partitur verstehen und was uns daran weiterführend beschäftigt. Wenn ein Begriff mehrfach auftaucht, dann handelt es sich dort um eine Vielstimmigkeit.

Resonanz[1], Stimme[2], Mischung[3], Öffnen[4], Performance[5], Körper[6], Rolle[7], Einklang und Vielklang[8], Raum[9], Hybridität[10], Prozess[11], Überforderung[12], Verwirrung[13], Sprengen[14], Rahmen[15], Nikolausprojekt[16], Position[17], Zwischendrin[18], immer weiter[19]

Partitur_Stand Juni, Seite 1

 

Partitur_Stand Juni, Seite 2

 

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Partitur_Stand Juni, Seite 5

 

Partitur_Stand Juni, Seite 6

 

Resonanzcollage

 

Förster, Dori Yuna Lonia/Manthei, Lea Maria/Cruz Hahne, Silja/Schüle, Thea Schüle/Gelbke, Vanessa (2022): „Zwischen Lehrperson und alles Andere sein“. Resonanzcollage.

Partitur_Stand Juli

Mit der Partitur wollen wir Vielstimmigkeit einfangen, sichtbar machen und verhandeln. Um unseren kollektiven Aushandlungsraum zu erweitern, haben wir daher unseren Zwischenstand (Partitur_Stand Juni) im Rahmen des Rundgangs 2022 an der HBK Braunschweig ausgestellt. Mit der folgenden Handlungsanweisung wollten wir die Besucher*innen als Menschen, die sich auch in Schul- und Kunstkontexten bewegen, einladen, sich experimentell an der Partitur zu beteiligen.

 

Handlungsanweisung:

  1. Scann den QR-Code und hör dir die Resonanzcollage an.
  2. Schau dir währenddessen die Partitur an.
  3. Ergänze die Partitur (z.B. mit Schlagwörtern, Pfeilen, Klebepunkten und Post-it-Notizen).

Gib bitte auf die Beiträge der anderen Personen Acht und sei in deiner Mitgestaltung der Partitur sensibel und respektvoll.

Viel Spaß!

 

Hierbei spielen fortsetzende Übersetzungs- und Überlagerungsprozesse eine Rolle, die sowohl auf der Ebene der Form als auch auf inhaltlicher Ebene wahrnehmbar werden. Post-its und schriftliche Ergänzungen, Klebepunkte und festgeklebte Nägel – Material, Form und Farbe fügen sich zu einer neuen, (un)erwarteten Sprache.

Die Partitur_Stand Juli verstehen wir als Zwischenstand sowie als weiteren Ausgangspunkt. Daran orientieren wir uns, um Aufmerksamkeiten und Mehrdeutigkeiten in unserer künstlerischen Praxis sichtbar zu machen und zu entwickeln. Gemeinsam erforschen wir Möglichkeiten, kollektive Prozesse auszulösen und auszuhandeln.

Partitur_Stand Juli, Seite 1.  © Patrick Neugebauer

 

Partitur_Stand Juli, Seite 2.  © Patrick Neugebauer

 

Partitur_Stand Juli, Seite 3.  © Patrick Neugebauer

 

Partitur_Stand Juli, Seite 4.  © Patrick Neugebauer

 

Partitur_Stand Juli, Seite 5.  © Patrick Neugebauer

 

Partitur_Stand Juli, Seite 6.  © Patrick Neugebauer

 

Partitur_Stand Juli, Übersicht. © Patrick Neugebauer

 

 

Erschienen im Rahmen der SfKP #22 // www.swissarteducation.ch, www.sfkp.ch, herausgegeben von Silke Ballath und Konstanze Schütze, Druckversion situierung zwischen #1 erschienen, 04/2023.

[1] „Wenn ein Ton erzeugt wird, dann setzt dieser Luft in Bewegung und die beginnt zu schwingen. Der Ton wird dannvon Luftteilchen zu Luftteilchen weitergegeben, bis er schließlich in unser Ohr gelangt. Bei vielen Tönen, die von Instrumenten erzeugt werden, schwingt nicht nur Luft, sondern auch ein Körper mit. Und dieses ‚Mitschwingen‘ nennt man Resonanz.“ (WDR o.J.).[2] „Die Stimme ist zwischen zwei Seiten situiert, die in ihr ein Verhältnis zueinander eingehen“ (Kolesch/Krämer 2006: 12). Damit entzieht sich die Stimme als performatives Phänomen einer eindeutigen Verortung. Die Stimme „stiftet Intersubjektivität, verweist als Spur des Körpers auf die sprechende Person und manifestiert komplexe kulturelle Dispositive von Macht, Wissen und Begehren“ (Kolesch 2009: 9). Die Theaterwissenschaftlerin Doris Kolesch und die Philosophin Sybille Krämer fassen die Stimme begrifflich als „Schwellenphänomen“ (Kolesch/Krämer 2006: 12) und „Figur der Überschreitung“ (ebd.). „Die Stimme ist […] nicht einfach Körper oder Geist, Sinnliches oder Sinn, Affekt oder Intellekt, Sprache oder Bild, sondern sie verkörpert stets beides.“ (ebd.).[3] Meine Oma mischt Wasser und Cola. Also, schon Sprudelwasser und nicht Leitungswasser. Aber das finde ich spannend. Gibt es auch Mischungen, die nicht stattfinden sollten? (Cruz Hahne/Schüle 2022, Lecture Performance).[4] _ (vgl. Fußnote 1).[5] „Welche Performanzen in welchen Kontexten kehren die Unterscheidung Innen/Außen um und nötigen uns, die psychologische Voraussetzung der geschlechtlich bestimmten Identitäten und Sexualitäten radikal zu überdenken?“(Butler 2018: 204) Welche Performances in welchen Kontexten kehren die Unterscheidung Lehrperson/kunstschaffende Person um? Wenn man sich nicht für eine der beiden ‚Seiten‘ entscheidet, bewegt man sich als Kunstlehrkraft in einem Zwischenraum. In diesem ist man gleichzeitig Lehrperson und kunstschaffende Person, fühlt aber auch die Unterscheidung dieser beiden Rollen als Zwiespalt und füllt diesen Zwischenraum.[6] Körper sind omnipräsent. Sie können existieren, ohne das wir sie aktiv wahrnehmen müssen. Die Nutzung des Körpers im sozialen Raum ist eine Performance, unter Umständen ein performativer Akt. Körper in Schule und Kunst können als Werkzeug, Ausdrucksmittel und Archiv dienen. Sie füllen einen Raum, nehmen ihn ein und existieren in ihm einzeln, nebeneinander und miteinander; teilweise werden sie zu einem Körper. Körper können verstimmt sein, Resonanz erzeugen; im Einklang sein oder einen Vielklang ergeben. Ver_Mittelnde und ver_lernende Körper zusammen bilden einen Lehrkörper.[7] „Die Selbstreferentialität der eigenen Mittel betont den Schauspieler, der die Aufführung in der spezifischen Zeitform des Theaters, dem Präsens, trägt. Sie lässt ihn aus dem Kostüm der Rolle hervortreten als Darsteller einer von ihm unter den gegebenen Umständen der inszenatorischen Arbeit gefundenen und entwickelten Figur.“ (Haß 2014: 306)
Im Spiel mit Körpern, Materialien, Räumen und Sprachen werden verschiedene Räume und Rollen konstituiert und verkörpert. Die Institution Schule bildet den Rahmen (vgl. Fußnote xvi), in dem Rollenverhältnisse hervorgebracht werden. Zwischen Lehrpersonen und Schüler*innen entsteht ein je situativer Interaktionsraum, in dem sich aber auch Verschiebungen in den Vorstellungen der Figuren inszenieren, erproben und erfahren lassen.

[8] Mit sich oder etwas im Einklang sein, kann „als richtig, angebracht, wohltuend empfundene Übereinstimmung, Harmonie“ (Dudenredaktion o.J.) definiert werden. Einklang beschreibt somit ein fragiles und stabiles Moment, das leicht zu irritieren ist. Vielklang hingegen bringt die Differenz ins Spiel. Wie wirkt das Aufeinandertreffen unterschiedlicher und widersprüchlicher Stimmen, Perspektiven und Körper?Vielstimmigkeit (Polyphonie) wird von dem Literaturwissenschaftler und Philosoph Michail Bachtin in seiner Romantheorie als „Vielfalt selbstständiger und unvermischter Stimmen und Bewußtseine [sic]“ (Bachtin 1985: 10; zit. n. Sasse 2018: 84) bezeichnet. Dabei bildet die innere Dialogizität eine Grundfigur, mit der die prozessuale und situative Aushandlung von Bedeutung betont und Unabgeschlossenheit und Mehrdeutigkeit Raum gegeben wird (vgl. Sasse 2018: 93, 97–98).Dynamische und komplexe Vielstimmigkeit lässt sich demnach als ein demokratisches und heterarchisches Prinzip verstehen, bei der einzelne Stimmen in kollektiven Gefügen als selbstständige bestehen bleiben, in den Dialog treten und gleichzeitig wirksam werden können (vgl. Manthei 2022: 13).

[9] Raum (place) wird durch (zwischen-)menschliche Begegnungen konstruiert. Der Fokus liegt auf menschlicher Erfahrung, Erinnerung, Wünschen und Identität. Ohne Menschen gibt es nur einen toten Ort (space), der mit diversen, un_möglichen Räumen gefüllt ist. Un_sichtbare Vorschriften und Normen (cultural coding) ermöglichen, erschweren oder nehmen räumlichen Zugang (vgl. Barker 2008: 374–379). Konstruierte Räume scheinen recht klar definiert zu sein. Was passiert mit denjenigen, die keinen Zugang erfahren oder ihn verweigern? Vor der Tür bedeutet zwischen Räumen. Zwischen_Räume bilden Schlupflöcher und Schwellen zu geteilten Räumen. Ein Raum für alles andere sein?

[10] „Beim Kunstunterricht denke ich, dass das Kunst-Lehramt (vermutlich) eine ganz gute Mischung aus Kunst und Bürgertum ist. Für mich. Mein Leben sollte durch Kunst reicher werden, ich wusste, dass das geht, und das will ich als Künstlerin-Bürgerin-Hybrid auch anderen Bürger*innen vereinfachen. Ich würde gerne ein Hybrid bleiben“ (Cruz Hahne/Schüle 2022, Lecture Performance).

[11] Wenn Prozesse des Zusammenarbeitens und gemeinsamen Forschens sich aus disziplinären Grenzen lösen oder diese befragen, kann es darum gehen, „Räume für Verstehens- und Nicht-Verstehensprozesse zu schaffen, Räume für Dissens, für ,Noch-Nicht-Verstehen‘, für Auseinandersetzungen und für ein Ringen um ein, für eine Zeit lang geteiltes, Verständnis“, wie Pritz, Sattler und Thuswald (2020: 96) in ihrem Aufsatz Vom kunst- und kulturpädagogischen Forschen formulieren. Es bedeutet somit eben nicht, „bloß Unterschiedliches nebeneinander zu stellen, so dass jede Person ihr oder sein ‚Ding‘ beiträgt“ (ebd.), sondern Widersprüche und Mehrdeutigkeit in der Interaktion auszuhalten. Wir verhandeln und erforschen kollektiv die vielstimmigen Überlagerungen unserer Fragestellungen und Stimmen, um den Zwischenräumen auf die Spur zu kommen, die sich als Interaktionsräume durch das gemeinsame Denken und (künstlerische) Handeln eröffnen.

[12] Ist gut. Manchmal. Gerade zum Beispiel. Öffnet.

[13] Verwirrung bewirkt, dass wir auf unser eigenes normativ geprägtes Denken zurückgeworfen werden, dieses wahrnehmen und dadurch potentiell hinterfragen. Ich bin verwirrt von einer weiblich gelesenen Person, die anfängt, mit einer männlich gelesenen Stimme zu sprechen; dabei bin ich selbst transfeminin. Ich bin verwirrt von Menschen, die neben mir im Zug anfangen, mit sich selbst zu sprechen; dabei spreche ich, wenn ich alleine bin, häufig mit mir selbst. Ich bin verwirrt von Schüler*innen, die trotz Eltern in schwierigen sozialen Verhältnissen gute Noten schreiben; dabei war ich selbst die drittbeste Abiturientin meines Jahrgangs mit einer alleinerziehenden Mutter, die Betreuungskraft ist. Ich bin verwirrt, wenn Menschen sehr akademisch klingende Begriffe verwenden, die ich nicht kenne. Noch verwirrter bin ich, wenn diese Menschen die Begriffe nicht erklären können oder selbst nicht wissen, was sie bedeuten. Ich bin verwirrt, wenn sich Menschen beim Tanzen Schritte sofort merken können und ich nach über 10 Jahren Erfahrung ewig brauche, um eine Reihenfolge in meinen Kopf und Körper zu bekommen.

[14] Sprengen heißt, „etw. durch Druck von innen auseinander[zu]reißen, [zu] zerreißen“ (DWDS o.J.). Von innen. Ist das der Grund, warum wir in die Schule wollen? Um von innen, in den Strukturen steckend, etwas zu verändern? Manchmal frage ich mich, ob es nicht reichen würde, von außen einen Funken zu legen. Oder nur kurz in die Struktur zu gehen, sie (auf) zu brechen, dadurch zu öffnen und dann wieder herauszutreten. Aber was ist, wenn wir das geschafft haben und dann wieder weg sind? Dann haben wir ein System gesprengt, aber niemanden, der es neu aufrichtet. Oder?

[15] In welchen Rahmungen bewegen wir uns? Wie bewegen wir Rahmen? Sprengen, zusammenführen, verschieben? Welche Wechselwirkungen ergeben sich? Das Paradox des Rahmens betrifft, so schreibt der Literatur- und Kulturwissenschaftler Uwe Wirth (2013: 19), „die Dichotomie von statisch und dynamisch respektive von fest und unfest“ sowie das „Verhältnis von Innen und Außen“. Mit dem Begriff der „Rahmenkollision“ verweist die Kunstpädagogin Christine Heil auf ein wichtiges performatives Moment in Bildungs- und Vermittlungskontexten. „Die Nutzung und die Erforschung des entstehenden Raums können sich aus der Reflexion der Perspektiven aller Beteiligten ergeben […]. Weil sich ein solcher Raum nicht durch Außenpunkte abstecken lässt, ergibt sich die Notwendigkeit, dass sich alle Beteiligten in den Raum einschreiben und Standpunkte und Entscheidungspunkte markieren, die immer wieder aufgesucht werden können.“ (Heil 2007: 300)

[16] „Nimm dir eine Minute Zeit und überleg einmal, wie du dir den heiligen Nikolaus vorstellst. […] Bereiten Sie eine Aktion mit einem Schokoladen-Nikolaus vor, der ihn in Kontakt zu Ihrem Körper/Leib bringt […].“ (Beck 2017: 48–49) Bei dieser Klausuraufgabe für Schüler*innen einer 12. Klasse entstanden fotographische Auseinandersetzungen mit Sexualität und Gewalt (vgl. Beck 2017). Mit Symbolfiguren aus anderen Religionen wäre so etwas vermutlich nicht passiert. Der Nikolaus als alte, männliche, mit Kindern agierende Figur, und das in Beziehung zur katholischen Kirche, erweckt sehr aufgeladene Assoziationen.

[17] Positionen sind keine objektiven, determinierten oder natürlichen Einheiten. Sie gehen aktiv oder passiv aus der Praxis der Ver_Ortung – in einem strukturierten, konstruierten, sozialen, gesellschaftlichen oder politischen Raum (z.B. einer Karte, einem Diskurs, einer Gesellschaft) – hervor. Positionen können markiert oder unmarkiert sein, wobei eine Sichtbarkeit oder Sichtbarmachung erst die Beschreibung, Analyse, Veränderung oder Reflektion jener ermöglicht. Eine Position kann Zugang zu einem Thema ermöglichen oder versperren. Eine Position ist bewegbar, in Bewegung, in einem Spinnennetz voll anderer Positionen. Eine Positionierung ist die Verortung und Einordnung von Glaubenssätzen und Überzeugungen aus der Perspektive der*des entsprechende*n Akteur*in in einem spezifischen Kontext. Positionen sind identitätsstiftend und bilden die Grundlage für jeglichen Diskurs. Eine bewusste Positionierung ist immer auch ein reflexiver Akt, weshalb Positionen nie statisch, sondern formbar, manchmal sogar fragil sind. Eine Position ist nicht absolut, sondern eine temporäre Verortung und Inter_Aktion. Erfahrungsdimensionen, Zwischenräume und Beziehungsweisen konstellieren sich davon ausgehend als fluide und nichtidentische Perspektiven in einem komplexen Bedingungsgeflecht. Eine ver_lernende (vgl. Spivak 1996, Sternfeld 2014, Castro Varela 2017) und verantwortungs_bewusste Praxis der Positionierung (vgl. Haraway 1995) hält die Fraglichkeit der eigenen Position wach, erkennt die Fragilität der Bezüge an und fordert unhinterfragte Grenzziehungen heraus.

[18] Das ist ja eigentlich wichtig. Bedeutet Freiheit. Sich Bewegen. Außerhalb vorgegebener Strukturen sein. Trotzdem mittendrin, deswegen auch mit Anstrengung verbunden. Involviert sein. Wir sind zwischen den Erwartungen. Unseren Rollen. Zwischen den Stühlen situiert. Zwischen Lehrperson und alles Andere sein.

[19] Immer weiter immer weiter immer weiter immer weiter immer weiter immer weiter immer weiter… (Cruz Hahne/Schüle 2022, Lecture Performance)

[i] Der von uns verwendete Unterstrich verweist auf der sprachlichen Ebene auf einen Zwischenraum – er öffnet einen Möglichkeitsraum. In Form der Unterscheidung eines Wortes mit, beziehungsweise ohne Präfix, öffnet der Unterstrich mehrere Bedeutungen eines Wortes, ohne es aus seinem Kontext herauszulösen. Un_möglichkeiten verweist auf Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, und auf Dinge dazwischen. Das orthographische Zeichen wird in der gendersensiblen Sprache (Gender-Gap) genutzt, um das Spektrum der Geschlechter sichtbar zu machen und einen Freiraum zu symbolisieren (vgl. Gleichstellungsbeauftragte Universität zu Köln 2021: 10). Diese Figur lässt sich auf andere Kontexte übertragen, in denen Denkgewohnheiten irritiert und geöffnet werden können.

Literatur/Referenzen:

Cruz Hahne, Silja/Schüle, Thea (2022): „Lehrerin/Künstlerin/Zwiespalt.“ Lecture Performance, entstanden im Rahmen des Seminars „Zwischen den Stühlen“ bei Ballath, Silke. Aufführung bei den Open Studios 2022, HBK Braunschweig. Unveröffentlicht.

Bachtin, Michail [1929] (1985): Probleme der Poetik Dostoevskijs. Frankfurt am Main, Ullstein

Barker, Chris (2008): Cultural Studies: Theory and Practice. London, SAGW.

Beck, Angelika (2017): Let’s switch. Über sexuelle Bildung im Kunstunterricht. In: Lüth, Nanna (Hg.), vorausgesetzt. Kunst/Pädagogik und ihre Bedingungen. Berlin, Revolver Publishing, S. 48–55.

Butler, Judith (2018): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main, Suhrkamp.

Castro Varela, María do Mar (2017): (Un-)Wissen. Verlernen als komplexer Lernprozess. migrazine (1). http://www.migrazine.at/artikel/un-wissen-verlernen-als-komplexer-lernprozess [10.08.2022].

Gleichstellungsbeauftragte Universität zu Köln (Hg.) (2021): ÜberzeuGENDERe Sprache. Leitfaden für eine geschlechtersensible Sprache. https://gb.uni-koeln.de/e2106/e2113/e16894/20210709_Leitfaden_GGSprache_UzK_Webversion_ger.pdf [10.08.2022].

Haraway, Donna (1995): Situiertes Wissen. In: Hammer, Carmen/Stieß, Immanuel (Hg.), Die Neuerfindung der Natur Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt am Main, Campus Verlag, S. 73–98.

Haß, Ulrike (2014): Rolle. In: Fischer-Lichte, Erika/Kolesch, Doris/Warstat, Matthias (Hg.), Metzler Lexikon Theatertheorie. Stuttgart, J.B. Metzler, S. 306.

Heil, Christine (2007): Kartierende Auseinandersetzung mit aktueller Kunst: Reflexionsräume und Handlungsfelder zur Erfindung und Erforschung von Vermittlungssituationen. München, kopaed.

Dudenredaktion (o.J.): „Einklang“. https://www.duden.de/rechtschreibung/Einklang [12.07.2022].

DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache (o.J.): „sprengen“. https://www.dwds.de/wb/sprengen#d-1-2-1 [17.07.2022].

Kolesch, Doris (2009): Vorwort. In: Kolesch, Doris/Pinto, Vito/Schrödl, Jenny (Hg.), Stimm-Welten. Bielefeld, transcript Verlag, S. 9–10.

Kolesch, Doris/Krämer, Sybille (2006): Stimmen im Konzert der Disziplinen. In: Kolesch, Doris/Krämer, Sybille (Hg.), Stimme. Annäherung an ein Phänomen. Frankfurt am Main, Suhrkamp, S. 7–15.

Manthei, Lea Maria (2022): Vielstimmigkeiten konstellieren. Kollaborative Praktiken im Zwischenraum von Kunst und Schule. Eine empirisch-qualitative Exploration mit Expert*inneninterviews. Unveröffentliche Masterarbeit, Hochschule für Bildende Künste Braunschweig.

Pritz, Anna/Sattler, Elisabeth/Thuswald, Marion (2020): Vom kunst- und kulturpädagogischen Forschen. Einblicke in die Forschungsprojekte Facing the Differences und Imagining Desires am Institut für das künstlerische Lehramt an der Akademie der bildenden Künste Wien. In: Esterbauer, Erik/Bernhofer, Andreas (Hg.), Ist Kunst ein Sonderfall. Qualitative Forschungsansätze in den künstlerisch-pädagogischen Fächern. Wien, LIT, S. 84–98.

Sasse, Sylvia (2018): Michail Bachtin zur Einführung. Hamburg, Junius.

Spivak, Gayatri Chakravorty (1996): The Spivak Reader. Selected Works of Gayatri Chakravorty Spivak. Landry, Donna/MacLean, Gerald (Hg.). New York, Routledge.

Sternfeld, Nora (2014): Verlernen vermitteln. In: Pazzini, Karl-Josef/Sabisch, Andrea/Legler, Wolfgang/Meyer, Torsten (Hg.), Kunstpädagogische Positionen (Band 30). Hamburg, Hamburg Univ. Press.

WDR, Wissen macht Ah! (o.J.): „Resonanzkörper“. https://kinder.wdr.de/tv/wissen-macht-ah/bibliothek/dasfamoseexperiment/bibliothek-resonanzkoerper-aktuell100.html [12.07.2022].

Wirth, Uwe (2013): Rahmenbrüche, Rahmenwechsel. In: Wirth, Uwe/Sellier, Veronika (Hg.), Rahmenbrüche, Rahmenwechsel. Berlin, Kadmos, S. 15–57.

Zitationsvorschlag

Cruz Hahne, Silja/Förster, Dori/Gelbke, Vanessa/ Manthei, Lea Maria/Schüle, Thea (2023): Zwischen Lehrperson und alles Andere sein, in: Silke Ballath, Annika Niemann, Konstanze Schütze (Hg.), Onlineplattform | situierung zwischen 2023 [online] https://situierungzwischen.net/zwischen-lehrperson-und-alles-andere-sein-2/ [letzter Zugriff: YY.YY.YYYY].